Während die älteste aktive Sektion im Herbst 2024 ihren 125. Geburtstag feiern kann, sucht die Christliche Sozialbewegung KAB Schweiz nach ihrer zukünftigen Rolle.
Seit 1900 hat sich die Schweiz von einer agrarisch geprägten Wirtschaft zu einer hochentwickelten Industrienation entwickelt.
Die Industrialisierung setzte sich fort, und parallel dazu entwickelte sich die Digitalisierung der Arbeitswelt, zuerst gemächlich mit dem Einsatz von Lochkarten und ersten Rechenmonstern, danach mit dem Aufkommen des PC, von mobilen Telefonen und aktuell der Anwendung von künstlicher Intelligenz auf breiter Ebene.
Vom Agrarstaat zum Sozialstaat
Die meisten Sozialwerke in der Schweiz wurden im Verlauf des 20. Jahrhunderts gegründet: Die AHV wurde 1948, die Invalidenversicherung 1960 und die gesamtschweizerische Arbeitslosenversicherung 1976 eingeführt. Diese und weitere Sozialwerke wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt und angepasst, und sie bilden zusammen mit anderen sozialen Unterstützungsprogrammen das Rückgrat des schweizerischen Sozialstaats.
Gesellschaft im Wandel
Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten hundert Jahren enorm gewandelt. Die Bevölkerung der Schweiz ist stark gewachsen und hat sich gleichzeitig verändert. Die Lebenserwartung ist gestiegen, und die Geburtenrate ist gesunken, was zu einer alternden Bevölkerung geführt hat. Die Schweiz ist auch zunehmend multikulturell geworden. Die soziale Struktur der Schweiz hat sich ebenfalls stark verändert in Bezug auf Familienstrukturen, Bildungsniveau und Arbeitsmärkte. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft hat sich erheblich verbessert.
Arbeiter und Kirche
Mit Beginn der Industrialisierung gab es eine grosse Not unter den Arbeitern. Erst 1891 reagierte die katholische Kirche offiziell mit einer Sozialenzyklika auf diese Not und das Aufkommen des Sozialismus. Sie begründete die katholische Soziallehre der Neuzeit, mit dem Menschenbild einer gleichwertigen Individualität und Sozialität des Menschen. Diese Soziallehre stand am Anfang aller kath. Arbeiterorganisationen in den verschiedenen Kantonen. Gegenseitige Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe wurde angeboten, und christliche Institutionen und Genossenschaftern wurden gegründet.
Ein Opfer ihres Erfolges?
Vieles, was die katholischen Arbeiterorganisationen danach für ihre Mitglieder aufgebaut haben, war so erfolgreich, dass es später Eingang in die «grosse» Politik und die Gesamtgesellschaft gefunden hat (z.B. AHV, Krankenkasse, Ausbildung). Die Not der Arbeiterschaft ist verschwunden, die Armut deutlich verringert, die soziale Absicherung im Erwerbsleben und im Alter wesentlich besser. Jede Organisation, welche ihre Hauptziele erreicht hat, läuft Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden. Insofern könnten die stetig sinkenden Mitgliederzahlen Ausdruck einer allgemeinen Zufriedenheit sein.
Den Wandel suchen
Viele Mitglieder der christlichen Sozialbewegung KAB fühlen sich immer noch stark mit der Kirche verbunden, und sind, wie Norbert Ackermann dies kürzlich beschrieben hat, «mitbetroffen vom Reformstau der Kirche, vom Mangel an Seelsorgenden, von der Nicht-Gleichstellung von Frauen und mitleidend beim Absturz infolge zugedeckter Missbrauchsfälle». In diesem Kontext suchen wir nach Zukunftswegen für unsere Organisation. Nicht zum ersten Mal in unserer Geschichte stellt sich unsere Bewegung der Sinnfrage und der Suche nach einem neuen Ziel. Zurzeit werden die verschiedenen Möglichkeiten – Auflösung, Reduktion oder Erweiterung – innerhalb des Vorstandes intensiv diskutiert. Dabei widmen wir bewusst möglichen Wandlungsszenarien viel Zeit und Energie, im Besonderen der Möglichkeit, eine Erweiterung des Vereins durch Aufbau einer Basisbewegung in der ganzen Deutschschweiz zu ermöglichen. Der Kontakt zu gleichgesinnten Personen und Organisationen soll dabei gezielt gesucht und gestärkt werden. Dabei versuchen wir das «Besondere » mit der christlichen Sozialethik herauszuarbeiten, was andere nicht (im gleichen Ausmass) bieten können. Den richtigen Weg zu wählen und dann zu gehen, wird jedoch noch viel Energie und Einsatz inner- und ausserhalb des Vorstandes benötigen. Aber bieten möchten wir Inhalte und Formen, die Frauen und Männer «mitten im Leben» entsprechen und Orientierung bieten.
Mario Amacker, KAB Schmitten, Mitglied der Arbeitsgruppe ‹Wandlungsstrategie›